In der Zerspanung sind Werkzeuge Verbrauchsgüter, doch ihre Standzeit entscheidet maßgeblich über die Wirtschaftlichkeit eines Fertigungsprozesses. Ein vorzeitiger Werkzeugausfall verursacht nicht nur Kosten für das Werkzeug selbst, sondern – viel gravierender – Stillstandszeiten, Ausschuss und Prozessunsicherheiten.
Der Verschleiß ist ein unvermeidbares physikalisches Phänomen, resultierend aus der extremen thermischen und mechanischen Belastung in der Kontaktzone zwischen Schneide und Werkstück. Die Kunst der modernen Fertigung liegt nicht darin, Verschleiß zu verhindern, sondern ihn vorhersehbar zu machen und durch gezielte technologische Maßnahmen hinauszuzögern. Von der Wahl des Substrats über die Beschichtung bis hin zur intelligenten Prozessführung: Die Hebel zur Lebensdauerverlängerung sind vielfältig.
Das Wichtigste in Kürze
- Verschleißarten differenzieren: Eine präzise Analyse des Verschleißbildes (z. B. Kolkverschleiß vs. Freiflächenverschleiß) ist zwingend notwendig, um die korrekte Gegenmaßnahme (z. B. härtere Beschichtung vs. zäheres Substrat) einzuleiten.
- Prozesskühlung optimieren: Der Wechsel von Überflutungskühlung zur gezielten Innenkühlung oder Minimalmengenschmierung (MMS) reduziert thermische Schocks an der Schneide und verhindert Kammrisse.
- Kantenpräparation: Die gezielte Verrundung oder Fasung der Schneidkante im Mikrometerbereich stabilisiert den Schneidkeil und verhindert Mikroausbrüche bei der Bearbeitung hochfester Werkstoffe.
Die Physik des Verschleißes verstehen
Um Verschleiß zu bekämpfen, muss man seine Ursachen kennen. In der Zerspanung wirken vier Hauptmechanismen oft gleichzeitig auf das Werkzeug ein:
- Abrasion: Harte Partikel im Werkstoff (z. B. Karbide oder Siliziumeinschlüsse in Aluminium) wirken wie Schleifpapier auf die Schneide. Dies führt primär zu Freiflächenverschleiß.
- Adhäsion: Bei hohen Temperaturen und Drücken verschweißt der Span kurzzeitig mit der Spanfläche (Aufbauschneide). Beim Abreißen dieser Verbindung werden Partikel aus der Werkzeugoberfläche herausgerissen.
- Diffusion: Bei extremen Temperaturen (oft über 800 °C) wandern Atome zwischen Werkzeug und Werkstoff. Das Werkzeug verliert an Härte (typisch bei Kolkverschleiß).
- Oxidation: Chemische Reaktionen der Beschichtung oder des Substrats mit dem Luftsauerstoff bei hohen Temperaturen.
Jeder dieser Mechanismen erfordert eine andere Antwort. Wer abrasivem Verschleiß mit einer zäheren (weicheren) Sorte begegnet, beschleunigt den Verschleiß oft noch. Hier wäre Härte gefragt.
Hebel 1: Substrat und Beschichtung
Die Basis für Standzeit ist das Material. Hartmetall ist nicht gleich Hartmetall.
Das Substrat (Kornfeinung):
Moderne Hochleistungswerkzeuge setzen auf Ultrafeinstkorn-Hartmetalle. Je feiner das Korn (oft < 0,5 µm), desto höher die Härte und Kantenstabilität, ohne dass die Zähigkeit drastisch abnimmt. Für unterbrochene Schnitte (Fräsen) wird ein höherer Kobalt-Gehalt gewählt, um die Zähigkeit zu steigern und Schneidkantenbrüche zu verhindern.
Die Beschichtung (Der Hitzeschild):
PVD- (Physical Vapor Deposition) und CVD-Beschichtungen (Chemical Vapor Deposition) sind der wichtigste Schutz gegen Hitze und Abrieb.
- TiAlN (Titan-Aluminium-Nitrid): Der Standard. Bildet bei Hitze eine Aluminiumoxidschicht, die das Werkzeug isoliert.
- DLC (Diamond-Like Carbon): Extrem glatt und hart, ideal für Aluminium, um Aufbauschneiden (Adhäsion) zu verhindern.
- HiPIMS: Neue Verfahren ermöglichen extrem glatte, dichte Schichten, die auch bei schwer zerspanbaren Materialien (Inconel, Titan) nicht abplatzen.
Hebel 2: Kantenpräparation (Edge Preparation)
Ein oft unterschätzter Faktor ist die Mikrogeometrie der Schneidkante. Eine „scharfe“ Schneide ist mikroskopisch betrachtet oft instabil und neigt zu Ausbrüchen.
Durch Verfahren wie Strahlen, Bürsten oder Schleifen wird die Schneide definiert verrundet (z. B. 10 bis 50 µm Radius) oder mit einer Schutzfase versehen.
- Verrundung: Stabilisiert die Schneide bei der Zerspanung von Stahl und Guss. Die Kräfte werden besser in das Werkzeug eingeleitet.
- Scharfe Schneide: Notwendig bei Aluminium oder Kunststoffen, um den Schnittdruck gering zu halten und Aufschmierungen zu vermeiden.
Die Anpassung der Kantenpräparation an den Werkstoff kann die Standzeit verdoppeln, da sie das initiale Versagen der Schneide (Initialverschleiß) verhindert.
Hebel 3: Kühlschmierstoff-Strategie
Hitze ist der Feind. Doch „viel hilft viel“ gilt bei der Kühlung nicht immer.
Das Problem der Thermoschocks:
Beim Fräsen wird die Schneide periodisch erhitzt (im Eingriff) und abgekühlt (in der Luft). Wenn nun ein kalter KSS-Strahl auf die heiße Schneide trifft, entstehen thermische Spannungen, die zu Kammrissen führen. Bei Hartmetallen ist es daher oft besser, trocken (nur mit Luft) zu fräsen oder auf Minimalmengenschmierung (MMS) zu setzen, die primär schmiert und weniger kühlt.
Innenkühlung (IKZ):
Bei Bohrern und beim Drehen von schwer zerspanbaren Materialien ist die Innenkühlung unter Hochdruck (bis 80 bar oder mehr) entscheidend. Der Strahl trifft exakt auf die Schnittzone, bricht den Span und spült ihn aus der Nut. Dies verhindert den „Spanstau“, der oft zum sofortigen Werkzeugbruch führt.
Hebel 4: Schnittdaten und CAM-Strategie
Der Programmierer hat oft den größten Einfluss auf den Verschleiß.
- Schnittgeschwindigkeit ($v_c$): Beeinflusst primär die Temperatur. Eine Reduktion um 10 % kann die Standzeit um 50 % erhöhen (Taylor-Gerade). Zu hohe $v_c$ führt zu Kolkverschleiß.
- Vorschub ($f_z$): Beeinflusst die mechanische Belastung. Zu geringer Vorschub führt dazu, dass die Schneide nicht schneidet, sondern „drückt“ und reibt (Pflug-Effekt), was den Flankenverschleiß erhöht.
- Trochoidales Fräsen: Moderne CAM-Strategien halten den Umschlingungswinkel konstant. Dies sorgt für eine gleichmäßige thermische Belastung und ermöglicht die Nutzung der gesamten Schneidenlänge, wodurch der Verschleiß auf eine größere Fläche verteilt wird.
Werkzeugüberwachung und Predictive Maintenance
In der automatisierten Fertigung darf das Werkzeug nicht unbemerkt verschleißen. Moderne Werkzeugmaschinen nutzen Monitoringsysteme:
- Wirkleistungsüberwachung: Die Spindellast wird gemessen. Steigt sie über einen Grenzwert, ist das Werkzeug stumpf.
- Körperschall: Sensoren am Spindellager hören den Verschleiß.
- Laser-Messung: Das Werkzeug wird in der Maschine per Laser vermessen, um Schneidenausbrüche oder Längenverlust zu detektieren.
Fazit: Ein systemischer Ansatz
Es gibt kein „unzerstörbares“ Werkzeug. Ziel ist ein gleichmäßiger, berechenbarer Verschleiß. Die Verlängerung der Lebensdauer erfordert eine Abstimmung von Substrat, Beschichtung, Kantenpräparation und den Einsatzparametern.
Oft lohnt es sich, teurere High-Performance-Werkzeuge einzusetzen, wenn dadurch die Prozesssicherheit steigt und die Maschine seltener für den Werkzeugwechsel stillsteht. Die Kosten pro Bauteil (Cost per Part) sind die einzig relevante Kennzahl, nicht der Einkaufspreis der Wendeschneidplatte.
