In der Fertigung von Präzisionsbauteilen war der Prozessfluss über Jahrzehnte in Stein gemeißelt: Erst erfolgte die Weichbearbeitung (Drehen, Fräsen), dann die Wärmebehandlung (Härten) und abschließend die Hartfeinbearbeitung auf spezialisierten Schleifmaschinen. Dieser klassische Ablauf erfordert jedoch vielfaches Umspannen, Zwischenlagerung und komplexe Logistik. Jedes Umspannen birgt zudem das Risiko von Rundlauffehlern und Ungenauigkeiten.
Um diese Ineffizienzen zu eliminieren, setzen Maschinenbauer zunehmend auf das Konzept des integrierten Schleifens. Dabei wird die Schleiftechnologie direkt in Dreh-Fräs-Zentren oder Multitasking-Maschinen implementiert. Das Bauteil wird komplett in einer Aufspannung gefertigt („Done-in-One“). Diese Hybrid-Technologie stellt jedoch hohe Anforderungen an die Maschinenauslegung, den Kühlschmierstoff und den Prozessschutz.
Das Wichtigste in Kürze
- Eliminierung von Umspannfehlern: Durch die Kombination von Hartdrehen und Schleifen in einer Aufspannung entfallen Toleranzketten, die durch das Wechseln auf eine separate Schleifmaschine entstehen, was die Rundlaufgenauigkeit massiv erhöht.
- Reduktion der Durchlaufzeit: Die Integration spart Logistikaufwand und Liegezeiten zwischen den Maschinen, was die „Time-to-Part“ drastisch verkürzt.
- Herausforderung Maschinenschutz: Da Schleifschlamm (Korund, CBN) extrem abrasiv wirkt, müssen Führungsbahnen und Dichtungen der Hybrid-Maschine speziell gegen den feinen Abrieb geschützt werden („Schleifpaket“).
Das Verfahren: Wenn der Drehstahl an Grenzen stößt
Warum überhaupt schleifen, wenn man hartdrehen kann? Das Hartdrehen hat in den letzten Jahren viele Schleifprozesse ersetzt. Doch es hat physikalische Grenzen:
- Oberflächengüte: Wenn Rautiefen von Rz<1μm gefordert sind, ist das Schleifen oft unersetzbar, besonders wenn kein Drall (Drallfreiheit) auf Dichtflächen erlaubt ist.
- Unterbrochener Schnitt: Bei Werkstücken mit Nuten oder Bohrungen führt Hartdrehen zu starken Schlagschnitt-Belastungen, die die Wendeschneidplatte zerstören oder die Maßhaltigkeit beeinträchtigen.
- Lange, dünne Bauteile: Beim Drehen entstehen hohe Passivkräfte, die das Werkstück abdrängen. Schleifen erzeugt geringere Abdrängungskräfte und ermöglicht höhere Präzision bei instabilen Teilen.
Das integrierte Schleifen kombiniert das Beste aus beiden Welten: Das Schruppen und Vor-Schlichten erfolgt hocheffizient durch Hartdrehen oder Fräsen. Nur das finale Schlichten der kritischen Passmaße erfolgt durch die Schleifspindel – alles auf derselben Maschine.
Technische Voraussetzungen: Die „schleiffähige“ Drehmaschine
Man kann nicht einfach eine Schleifscheibe in jede Drehmaschine einwechseln. Die Maschine muss konstruktiv für den Prozess ausgelegt sein.
1. Maschinenschutz (Kapselung)
Der beim Schleifen entstehende feine Staub (Schleifschlamm) ist der Feind jeder Linearführung und Kugelumlaufspindel. Er wirkt wie Schmirgelpaste. Maschinen für integriertes Schleifen benötigen ein spezielles Schleifpaket:
- Sperrluft an den Glasmaßstäben.
- Verstärkte Abstreifer an den Führungsbahnen.
- Spezielle Teleskopabdeckungen, die absolut dicht schließen.
2. Kühlschmierstoff-Aufbereitung (KSS)
Drehmaschinen arbeiten oft mit Emulsion, Schleifmaschinen oft mit Öl. Bei Hybrid-Maschinen muss ein Kompromiss gefunden werden. Meist wird Emulsion verwendet, die jedoch extrem fein gefiltert werden muss. Standard-Späneförderer können Schleifschlamm nicht austragen; er würde sich im KSS-Tank absetzen und die Pumpen zerstören. Notwendig sind Feinstfilteranlagen (z. B. Zentrifugen oder Papierbandfilter), die Partikel bis in den Mikrometerbereich abscheiden.
3. Abricht-Technologie
Eine Schleifscheibe verliert ihre Form und Schärfe. Sie muss regelmäßig abgerichtet (profiliert und geschärft) werden. In der Hybrid-Maschine muss daher eine Abrichtspindel (meist mit Diamantrolle) fest verbaut oder einwechselbar sein. Die Steuerung muss Zyklen für das Abrichten bereitstellen und die Durchmesseränderung der Scheibe automatisch kompensieren.
Körperschall-Sensorik: Das Ohr an der Spindel
Da der Bediener in der geschlossenen Maschine den Prozess („Anfunken“) nicht sehen kann, ist Sensorik unverzichtbar. Körperschall-Sensoren (AE-Sensoren – Acoustic Emission) überwachen den Kontakt zwischen Scheibe und Werkstück.
- Anschnitt-Erkennung: Die Maschine fährt im Eilgang, bis der Sensor das erste Berühren der Scheibe am Werkstück („Anfunken“) registriert, und schaltet dann in den Arbeitsvorschub um. Das spart Luftschleifzeit.
- Abricht-Überwachung: Der Sensor kontrolliert, ob die Scheibe beim Abrichten gleichmäßig bearbeitet wird.
Anwendungsbeispiele und Wirtschaftlichkeit
Wo rechnet sich der hohe Invest in eine Hybrid-Maschine?
Beispiel: Getriebewellen
Eine Welle wird gedreht, verzahnt und gehärtet. Danach müssen die Lagersitze geschliffen werden.
- Konventionell: Transport zur Rundschleifmaschine -> Rüsten -> Schleifen. Risiko: Rundlauffehler zwischen Verzahnung und Lagersitz durch Umspannen.
- Integriert: Die Welle wird in der Dreh-Fräs-Maschine fertig bearbeitet. Nach dem Härten (oft durch Induktionshärten auf derselben Maschine möglich) erfolgt das Finish-Schleifen.
- Ergebnis: Der Rundlauf ist perfekt, da das Teil nie ausgespannt wurde. Die Durchlaufzeit sinkt von Tagen auf Stunden.
Beispiel: Flugzeugfahrwerke
Große, komplexe Bauteile aus hochfesten Stählen. Das Umspannen solcher tonnenschweren Teile ist ein logistischer Aufwand und ein Sicherheitsrisiko. Die Komplettbearbeitung inklusive Schleifen der verchromten Laufflächen auf einem großen Bohrwerk ist hier alternativlos für die Wirtschaftlichkeit.
Werkzeugtechnologie: CBN und Diamant
Da der Bauraum und die Magazinkapazität in Dreh-Fräs-Zentren begrenzt sind, kommen fast ausschließlich Hochleistungsschleifmittel zum Einsatz.
- Galvanisch gebundene CBN-Scheiben: Diese ändern ihren Durchmesser kaum, was das Abrichten minimiert. Sie sind ideal für harte Stähle.
- Diamant-Scheiben: Notwendig für die Bearbeitung von Hartmetall oder Keramik.
Die Werkzeugaufnahmen (z. B. HSK oder Capto) müssen extrem steif sein, um die Schnittkräfte ohne Vibrationen aufzunehmen.
Fazit: Nische oder neuer Standard?
Integriertes Schleifen wird die reine Produktionsschleifmaschine in der Großserie (z. B. Nockenwellen-Schleifen) nicht verdrängen. Dort ist die spezialisierte Maschine im Taktzeit-Vorteil.
Doch für den Mittelstand, den Werkzeugbau und die Fertigung komplexer Präzisionsteile in kleinen bis mittleren Losgrößen ist die Technologie ein Gamechanger. Die Reduktion der Durchlaufzeit und die Eliminierung von Umspannfehlern wiegen die höheren Maschinenkosten auf. Wer „High-End“-Bauteile fertigt, kommt an der Integration von Schleifprozessen in die Dreh-Fräs-Bearbeitung kaum noch vorbei.
