Der Maschinenbau steht unter doppeltem Druck. Einerseits fordern Kunden und der Gesetzgeber (via CSRD und EU-Taxonomie) drastische Maßnahmen zur Reduzierung des CO2-Fußabdrucks. Andererseits zwingen steigende Rohstoffpreise und fragile Lieferketten zur Kosteneffizienz. Lange Zeit konzentrierte sich die Debatte um Nachhaltigkeit im Maschinenbau fast ausschließlich auf die Energieeffizienz im Betrieb – also darauf, wie viel Strom eine Maschine während der Zerspanung verbraucht.
Doch dieser Blickwinkel ist zu eng. Ein oft unterschätzter Hebel für echte industrielle Nachhaltigkeit liegt nicht im Neubau, sondern im Bestand. Der Handel und die Weiternutzung von gebrauchten Maschinen ist gelebte Kreislaufwirtschaft (Circular Economy). Er verhindert, dass wertvolle Ressourcen verschwendet werden, und bietet eine ökologisch wie ökonomisch sinnvolle Alternative zur „Wegwerfgesellschaft“ in der Investitionsgüterindustrie.
Das Wichtigste in Kürze
- Vermeidung Grauer Energie: Der Kauf einer Gebrauchtmaschine spart die enormen Mengen an Energie und CO2 ein, die für die Herstellung des Rohstahls, das Gießen des Maschinenbetts und den Transport einer Neumaschine anfallen würden.
- Liquidität und Verfügbarkeit: Gebrauchtmaschinen sind sofort verfügbar und binden weniger Kapital, was Unternehmen in volatilen Marktphasen agiler macht und unnötige Neuproduktionen vermeidet.
- Retrofitting als Upgrade: Durch die Modernisierung (Retrofit) alter Maschinen mit neuen Steuerungen und Antrieben lässt sich High-Tech-Performance mit der Ressourcenschonung eines bestehenden Maschinenkörpers kombinieren.
Der „CO2-Rucksack“ einer Neumaschine
Um den ökologischen Wert einer Gebrauchtmaschine zu verstehen, muss man die Ökobilanz einer Neumaschine betrachten. Eine moderne 5-Achs-Fräsmaschine oder eine große Drehmaschine besteht zu großen Teilen aus Stahl und Grauguss.
Die Herstellung dieser Materialien ist extrem energieintensiv. Die Stahlproduktion ist für rund 7 bis 9 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Hinzu kommen Aluminium, Kupfer für die Motoren und seltene Erden in der Elektronik. Bis eine neue Maschine fertig in der Halle steht, hat sie bereits Tonnen von CO2 emittiert – man spricht hier von „Grauer Energie“ oder „Embodied Carbon“.
Wenn ein Unternehmen eine gebrauchte Maschine kauft, ist dieser CO2-Rucksack bereits „abgeschrieben“. Die Emissionen fallen nicht erneut an. Studien zeigen, dass die Verlängerung der Nutzungsdauer eines Investitionsgutes der effektivste Weg ist, um dessen ökologischen Fußabdruck pro produziertem Teil zu senken.
Kreislaufwirtschaft: Re-Use vor Recycle
In der Abfallhierarchie steht die Wiederverwendung (Re-Use) weit über dem Recycling. Beim Recycling einer Maschine müsste diese verschrottet, eingeschmolzen und neu gegossen werden – ein Prozess, der erneut gigantische Energiemengen verschlingt.
Der Gebrauchtmaschinenhandel sorgt dafür, dass Maschinen, die in einem Unternehmen (z. B. wegen Modellwechsel oder Insolvenz) nicht mehr benötigt werden, ein „zweites Leben“ in einem anderen Betrieb finden. Oft sind Maschinen aus der deutschen High-End-Fertigung nach 10 Jahren noch so präzise, dass sie für Zulieferer in anderen Branchen oder Ländern ein technologisches Upgrade darstellen.
Die Rolle digitaler Plattformen
Früher war der Gebrauchtmarkt intransparent und lokal begrenzt. Maschinen wurden oft verschrottet, weil der Verkäufer in Stuttgart nicht wusste, dass ein Käufer in Lissabon genau diese Anlage sucht.
Die Digitalisierung hat diesen Markt revolutioniert und globalisiert. Spezialisierte Online-Marktplätze sorgen heute für die nötige Transparenz und Liquidität im Markt. Plattformen wie Arico B2B fungieren hier als globaler Vermittler, der Käufer und Verkäufer effizient zusammenbringt. Durch diese digitale Sichtbarkeit wird verhindert, dass funktionstüchtige Assets auf dem Schrottplatz landen, nur weil lokal kein Abnehmer gefunden wurde. Dies ist ein direkter Beitrag zur Ressourceneffizienz durch IT.
Retrofitting: Aus Alt mach Neu
Ein entscheidender Aspekt der Nachhaltigkeit ist das „Retrofitting“. Das Maschinenbett – oft ein schwerer Gusskörper – ist nach 15 oder 20 Jahren oft noch in perfektem Zustand. Lediglich die Steuerungstechnik (CNC), die Antriebe und die Sensorik sind veraltet.
Statt die ganze Maschine zu entsorgen, wird sie „entkernt“. Der Stahlkörper bleibt erhalten (Ressourcenschutz), während die Elektronik auf den neuesten Stand gebracht wird (Energieeffizienz).
- Der ökologische Vorteil: Etwa 70 bis 80 % des Materials der Maschine werden weitergenutzt.
- Der technologische Vorteil: Die Maschine erhält moderne Features wie IIoT-Anbindung oder Energie-Monitore, verbraucht aber in der Anschaffung nur einen Bruchteil der Ressourcen eines Neukaufs.
Ökonomie trifft Ökologie: Schnelligkeit als Faktor
Nachhaltigkeit wird oft als Kostenfaktor wahrgenommen. Im Gebrauchtmaschinenhandel gehen Ökologie und Ökonomie jedoch Hand in Hand.
In Zeiten gestörter Lieferketten haben Neumaschinen oft Lieferzeiten von 6 bis 12 Monaten. Ein Unternehmen, das einen neuen Auftrag annimmt, kann so lange nicht warten. Die Gebrauchtmaschine ist sofort verfügbar. Dies verhindert, dass Unternehmen „auf Vorrat“ neue Maschinen bestellen (und damit Ressourcen binden), nur um lieferfähig zu sein. Der Gebrauchtmarkt wirkt als Puffer, der Spitzen abfedert und eine bedarfsgerechte Produktion ermöglicht („Production on Demand“).
CSRD und Scope-3-Emissionen
Für große Unternehmen wird der Kauf von Gebrauchtmaschinen künftig auch bilanztechnisch interessant. Im Rahmen der neuen CSRD-Berichtspflicht (Corporate Sustainability Reporting Directive) müssen Unternehmen auch ihre Scope-3-Emissionen ausweisen – also Emissionen, die in der Lieferkette entstehen.
Der Kauf einer Neumaschine belastet das Scope-3-Konto massiv (durch die Herstellungsemissionen beim Maschinenbauer). Der Kauf einer Gebrauchtmaschine hingegen verursacht fast null zusätzliche Herstellungsemissionen. Einkäufer werden diesen Hebel in Zukunft verstärkt nutzen, um ihre Klimaziele zu erreichen.
Fazit: Ein Imagewandel ist nötig
Lange Zeit galt der Kauf von Gebrauchtmaschinen als Zeichen von Schwäche („Die können sich nichts Neues leisten“). Dieses Stigma weicht einer neuen Rationalität. In einer Welt begrenzter Ressourcen ist die maximale Nutzung bestehender Assets ein Zeichen von intelligenter Unternehmensführung.
Der Maschinenbau der Zukunft besteht nicht nur aus glänzenden neuen Fabriken, sondern aus einem intelligenten Mix aus Neuanschaffungen für technologische Sprünge und hochwertigen Gebrauchtmaschinen für solide Kapazitätserweiterungen. Wer gebraucht kauft, schont die Kasse und das Klima gleichermaßen.
