Der Leichtbau ist einer der Megatrends der modernen Industrie. Ob in der Luftfahrt, im Automobilbau oder in der Windenergie: Faserverbundwerkstoffe ersetzen zunehmend klassische Metalle wie Stahl oder Aluminium. Sie bieten hohe Festigkeit bei minimalem Gewicht. Doch was konstruktiv ein Segen ist, stellt die Fertigung vor massive Probleme.
Die Zerspanung von Carbonfaserverstärktem Kunststoff (CFK) und Glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) unterscheidet sich fundamental von der Metallbearbeitung. Es handelt sich nicht um einen homogenen Werkstoff, sondern um einen Materialmix mit gegensätzlichen Eigenschaften: harte, abrasive Fasern eingebettet in eine weiche, temperaturempfindliche Matrix (Harz). Wer versucht, diese Materialien mit Standard-Parametern und Werkzeugen der Metallbearbeitung zu fräsen oder zu bohren, riskiert delaminierte Bauteile, extremen Werkzeugverschleiß und Gesundheitsgefahren.
Das Wichtigste in Kürze
- Extremer Werkzeugverschleiß: Die in den Kunststoffen eingebetteten Glas- oder Kohlefasern wirken extrem abrasiv; wirtschaftliche Standzeiten sind oft nur mit diamantbeschichteten Werkzeugen (PKD oder CVD-Diamant) realisierbar.
- Vermeidung von Delamination: Der kritischste Fehler ist das Ablösen der Schichten (Delamination) oder das Ausfransen der Fasern; hiergegen helfen spezielle Werkzeuggeometrien (z. B. Kompressionsfräser) und angepasste Schnittstrategien.
- Trockenbearbeitung und Absaugung: Verbundwerkstoffe werden meist trocken bearbeitet, da Kühlschmierstoffe das Material schädigen könnten; dies erfordert jedoch leistungsstarke Absauganlagen zum Schutz vor gesundheitsschädlichem Feinstaub.
Das Materialverhalten: Der „Span“ existiert nicht
In der Metallzerspanung wird das Material durch Scheren plastisch verformt, bis ein Span abfließt. Bei Verbundwerkstoffen funktioniert dieser Mechanismus nicht. Es handelt sich um einen spröden Bruchvorgang. Die Faser muss gebrochen oder geschnitten werden, ohne dass sie aus der Matrix gerissen wird.
Die Herausforderung liegt in der Anisotropie. Die Eigenschaften des Werkstoffs sind richtungsabhängig.
- Fräst das Werkzeug gegen die Faserrichtung, neigt die Faser zum Ausbrechen.
- Fräst es mit der Faser, ist der Schnitt sauberer, aber die Gefahr des „Hineinziehens“ steigt.
Zudem ist die Matrix (meist Epoxidharz oder Thermoplaste) hitzeempfindlich. Wird die Prozesswärme nicht abgeführt (was mangels Späne schwierig ist), schmilzt oder verbrennt das Harz („Schmieren“), und das Werkzeug verklebt.
Die Besonderheit von GFK (Glasfaser)
Während CFK oft im Fokus der High-End-Anwendungen steht, ist GFK (Glasfaserverstärkter Kunststoff) das Arbeitspferd der Industrie, von Bootsrümpfen bis zu Rotorblättern. In der Bearbeitung wird GFK oft unterschätzt. Glasfasern sind extrem hart und abrasiv. Zwar ist das Rohmaterial günstiger als Carbon, doch der Werkzeugverschleiß ist bei der GFK-Bearbeitung oft noch höher als bei CFK. Ein unbeschichteter Hartmetallfräser kann bei GFK bereits nach wenigen Metern Fräsweg seine Schneidhaltigkeit verlieren und stumpf werden, was sofort zu unsauberen Kanten und Hitzestau führt.
Gerade im Bauwesen, wo GFK wegen seiner Korrosionsbeständigkeit und Leichtigkeit immer häufiger eingesetzt wird, zeigt sich besonders deutlich, wie stark die Bearbeitung von den richtigen Werkzeugen und Parametern abhängt.
Werkzeugtechnologie: Diamant ist Pflicht
Aufgrund der hohen Abrasivität haben sich Schnellarbeitsstahl (HSS) und einfaches Hartmetall (VHM) als unwirtschaftlich erwiesen. Der Standard in der Verbundbearbeitung ist Diamant.
- PKD (Polykristalliner Diamant): Gelötete Diamantschneiden auf einem Hartmetallgrundkörper. Sie bieten höchste Härte und Standzeit, sind aber in der Geometrie (Schärfe der Schneide) limitiert.
- CVD-Diamantbeschichtung: Hier wird ein VHM-Werkzeug mit einer echten Diamantschicht überzogen (Chemical Vapor Deposition). Dies erlaubt komplexere Geometrien (Spiralbohrer, Fräser mit Drall) bei sehr hoher Härte.
Spezialgeometrien: Der Kompressionsfräser
Ein häufiges Problem bei plattenförmigen Halbzeugen ist, dass die Deckschicht beim Fräsen nach oben aufreißt (Up-Cut) oder die Bodenschicht nach unten gedrückt wird (Down-Cut). Die Lösung sind Kompressionsfräser (auch Zirkularfräser oder „Links-Rechts-Drall“ genannt). Diese Werkzeuge haben an der Spitze einen Rechtsdrall und am Schaft einen Linksdrall. Die Schnittkräfte werden dadurch von oben und unten in die Mitte der Platte gerichtet. Das Ergebnis: Saubere Kanten auf beiden Seiten des Werkstücks ohne Delamination.
Schnittparameter und Strategie
Die Wahl der richtigen Parameter ist eine Gratwanderung.
- Schnittgeschwindigkeit (vc): Muss hoch gewählt werden (oft > 200–400 m/min), um die Fasern sauber zu durchtrennen und die Schnittkräfte gering zu halten.
- Vorschub (fz): Darf nicht zu gering sein. Reibt das Werkzeug nur, entsteht Reibungswärme, die das Harz schädigt. Der Zahn muss „beißen“.
Beim Bohren ist besondere Vorsicht geboten. Beim Austritt des Bohrers aus dem Material fehlt der Gegendruck, was oft zum „Ausplatzen“ der letzten Lagen führt. Hier helfen spezielle Bohrergeometrien (z. B. Sichelbohrer) oder die Reduktion des Vorschubs kurz vor dem Durchbruch.
Kühlung und Absaugung: Sicherheit geht vor
Der Einsatz von flüssigen Kühlschmierstoffen (KSS) ist bei Verbundwerkstoffen meist tabu. Das Material kann Flüssigkeit aufnehmen (Hygroskopie), was die strukturelle Integrität schwächt. Zudem entsteht ein abrasiver Schlamm, der die Maschine ruiniert.
Daher wird fast ausschließlich trocken oder mit gekühlter Druckluft gearbeitet. Dies führt jedoch zu einer massiven Staubentwicklung.
- Gesundheitsrisiko: CFK-Staub ist lungengängig und steht im Verdacht, krebserregend zu sein (ähnlich Asbest). GFK-Staub verursacht starken Juckreiz und Reizungen der Atemwege.
- Maschinenrisiko: Carbonstaub ist elektrisch leitfähig. Dringt er in den Schaltschrank ein, kann er Kurzschlüsse auf Platinen verursachen und die Steuerung zerstören.
Eine leistungsfähige Absaugung direkt an der Spindel sowie eine Kapselung der Maschine und Überdrucksysteme in den Schaltschränken sind zwingende Voraussetzungen für die professionelle CNC-Bearbeitung dieser Werkstoffe.
Spanntechnik: Vakuum als Standard
Da Verbundbauteile oft flächig, dünnwandig und leicht sind, ist die klassische Spannung im Schraubstock schwierig (Verformungsgefahr). Der Standard ist die Vakuumspanntechnik. Mittels Raster- oder Porenplatten wird das Bauteil flächig angesaugt. Dies verhindert Vibrationen („Rattern“), die bei dünnen Platten sonst unweigerlich zur Delamination führen würden. Bei komplexen 3D-Formteilen (z. B. besäumten Preforms) werden oft individuelle Negativ-Formen als Vakuumaufnahmen gefräst.
Fazit: Eine eigene Disziplin
Die CNC-Bearbeitung von CFK und GFK lässt sich nicht „nebenbei“ auf einer Metallfräse erledigen. Sie erfordert ein Umdenken: Weg von der Spanbildung, hin zum Faserbruch. Weg vom KSS, hin zur Absaugung.
Für Lohnfertiger bedeutet der Einstieg in diese Materialien Investitionen in Diamantwerkzeuge, Hochgeschwindigkeitsspindeln und Sicherheitstechnik. Wer diese Hürden meistert, erschließt sich jedoch einen wachsenden Markt, da der Anteil an Verbundwerkstoffen in fast allen Branchen weiter steigen wird.
